Die (Mit-)Haftung von Kindern bis zum Alter von zehn Jahren ist nach der Neuregelung des Haftungsrechts zum 1. Juli 2002 bei Verkehrsunfällen grundsätzlich ausgeschlossen (§ 828 BGB). Dieses Haftungsprivileg greift jedoch nicht ein, wenn der Schaden im sogenannten stehenden Verkehr eingetreten ist (z.B. Zerkratzen eines parkenden Autos). Das Oberlandesgericht Celle hat sich nun mit der noch nicht geklärten Frage befasst, ob es sachgerecht ist, Kindern, die gerade das zehnte Lebensjahr überschritten haben und folglich noch erhebliche Defizite im Straßenverkehr aufweisen, die volle Verantwortung für einen Unfall aufzuerlegen.
Der Fall: Ein elf Jahre und sieben Monate alter Junge überquerte, nachdem er außerhalb einer geschlossenen Ortschaft aus dem Pkw seiner Mutter ausgestiegen war, bei Tageslicht die gerade verlaufende, übersichtliche Landstraße und wurde dabei von einem Pkw, dessen Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hatte, angefahren und erheblich verletzt. Das Gericht stellte zunächst klar, dass eine vollständige Verantwortung von Kindern nicht „automatisch“ mit Vollendung ihres zehnten Lebensjahres angenommen werden kann. Vielmehr kommt es stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an. Danach kann bei altersspezifisch und subjektiv besonders schweren Verstößen von knapp über zehn Jahre alten Kindern im motorisierten Straßenverkehr grundsätzlich auch ihre volle (Mit-)Haftung in Betracht kommen.
Da der Unfall für den Autofahrer trotz einer starken Abbremsung des Autos nicht vermeidbar war und Anhaltspunkte für einen sonstigen Verstoß wie z.B. eine verspätete Reaktion, Übermüdung oder Alkoholeinfluss nicht festgestellt werden konnten, ging das Gericht angesichts des leichtsinnigen Verhaltens des Jungen, der zudem die Zehn-Jahres-Grenze bereits deutlich überschritten hatte, von dessen Alleinverschulden aus.
Beschluss des OLG Celle vom 08.06.2011
Aktenzeichen: 14 W 13/11
jurisPR-VerkR 20/2011, Anm. 1
NJW-Spezial 2011, 459