Ein vierjähriges, mehrfach schwerbehindertes Kind musste von den Ärzten in ein dauerhaftes künstliches Koma versetzt werden. Unter anderem litt das Kind unter einem extremen spastischen Dauerzustand, der zu einer völligen Versteifung des Körpers und Verdrehung der Wirbelsäule führte (Apalliker). Die Gehirnfunktionen waren weitestgehend zerstört. Nach Auskunft mehrerer Fachärzte bestand für das Kind keine Aussicht auf Besserung seines Gesundheitszustandes. Daraufhin entschlossen sich die Eltern, die künstliche Ernährung des Kindes einstellen zu lassen. Hiergegen schritt das zuständige Familiengericht ein, das für das Kind einen so genannten Ergänzungsbetreuer einsetzte, der die Fortführung der künstlichen Ernährung befürwortete.
Das Oberlandesgericht Hamm gab der Beschwerde der Eltern gegen diese Entscheidung statt und übertrug ihnen wieder das uneingeschränkte Sorgerecht für ihr Kind. Bei minderjährigen Kindern haben die Eltern das Recht, für das Kind die Zustimmung zu einer ärztlichen Behandlung zu erklären oder zu verweigern. Ihnen steht ein verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht zu, eine Entscheidung für ihr Kind nach ihrer eigenen elterlichen Wertewelt zu treffen. Sie dürfen für das Kind so entscheiden, wie sie auch aktuell über ihre eigene Behandlung entscheiden dürfen, wobei sie mit wachsender Reife des Kindes dessen mutmaßliche eigene Wünsche zu beachten haben. Dieses Grundrecht findet seine Grenzen folglich nur im objektiven Wohl des Kindes. Angesichts des Gesundheitszustandes bestand kein Zweifel, dass auch ein betroffener Erwachsener für einen derartigen Fall einer äußerst schmerzhaften und nie mehr ein annähernd normales Leben ermöglichenden Krankheit den Wunsch der Einstellung der künstlichen Ernährung zum Beispiel in Form eines Patiententestaments geäußert hätte und dieser Wunsch von den Ärzten auch zu beachten wäre. Nichts anderes kann für Eltern gelten, die diese Entscheidung für ihr minderjähriges Kind zu treffen haben.
Beschluss des OLG Hamm vom 24.05.2007
Aktenzeichen 1 UF 78/07
NJW 2007, 2704